Der überwiegenden Mehrheit der Betreibenden von fernöstlichen Kampfsportarten ist der gravierende Unterschied zwischen Kampfsport und Kampfkunst nicht bekannt bzw. bewusst. Woher auch, da sie ihren Sport ja auch nur wie jede andere Zweikampf- bzw. Wettkampfsportart betreiben und es so auch nicht anders erfahren bzw. gelernt haben.

In dieser Denkweise zählt nur um jeden Preis das Siegen bzw. Gewinnen nach der Devise: ’The winner takes it all.’ Wer also seine fernöstliche Kampfkunst auf den reinen Kampfsport begrenzt, bringt sich zwangsläufig auf das Niveau von reinen Zweikampfspor-tarten, wie Boxen, Ringen, Fechten usw. oder wie im Falle von Formenwettkampf z.B. Eislaufen.

Die eigentlich tiefere Bedeutung der Kampfkunst tritt im Gelebten ’Do’ in Erscheinung. ’Do’ bedeutet eine Lebensart bzw. Lebensform. Es kombiniert die Natur der fernöstlichen Philosophie mit harten, körperlichen Training zur Entwicklung des eigenen Ichs. Im folgendem kurz das Wesen der Kampf-kunst dem Kampfsport gegenübergestellt:

  • Ziel und Trainingsobjekt ist die Steigerung der persönlichen physischen und mentalen Kraft und nicht der Sieg über andere im reinen Wettkampf.
  • Die Übung und Anwendung der geübten Technik geschieht zur Meisterung des täglichen Lebens und nicht für spezifische Wettkämpfe.
  • Der prägende Einfluss des Lehrers Sah Bum Nim/Sensei-Vorbild wird als lebenslang und nicht nur als motivierender Trainer auf die reinen Wettkampfjahre begrenzt betrachtet.
  • Starke Verwurzelung in der fernöstlichen Philosophie, Geschichte und Tradition was für den Kampfsport unwichtiger Bedeutung ist.
  • Hauptsächliche Betonung auf Charakterausprägung, geringer Einfluss im Sport.
  • Praktizieren eines etablierten Benimmcodex und Protokolls, was im Sport sich auf ein allgemeines Betragen reduziert.
  • Ausübung von Meditation, Ki-Atmung Verbeugung/Respekt und Entwicklung von Konzentration ist sehr wichtig. Von geringer Bedeutung ist sie im Kampfsport.
  • Sehr effektiv im Abbau von Angst, Zorn, Enttäuschung und Stress. Allerdings nur von geringfügiger Auswirkung im Sport.
  • Entwicklung von Führungseigenschaften und persönlicher Reife durch das Durchlaufen eines strukturierten Rangsystems, was hingegen unwichtig im reinen Sportgeschehen ist.
  • Der übergeordnete Wir-Gedanke als Gemeinschaft für einander steht im Vordergrund und nicht die zweikampforientierte egoistische Ich-Denke.

Es gibt viele ursprüngliche Kampfkünste wie z.B. Judo, Aikido, Karatedo, Tae Kwon Do, Hap Ki Do usw. Viele von ihnen werden im Gegensatz zu früher nur noch als reine Sportarten ausgeübt und die traditionellen philosophischen Wurzeln sind abhanden gekommen. Sie haben nichts mehr mit ihrem Ursprung gemeinsam. Da wo heute noch Tradition, Philosophie und Geschichte ein sehr wichtiger Bestandteil des Trainings sind, kann man auch heute noch von praktizierter Kampfkunst sprechen.

Leider wird heutzutage viel von unwissenden Scharlatanen, Möchtegern Gurus ein großes Unwesen getrieben und der unwissende Anfänger wird durch sie in eine falsche Richtung geführt, aus die er letztendlich sich nur mit genügender kritischer Distanz zu seinem z.Z. ausgeübten Sport neu orientieren kann. Da wo die Schüler nur als Mittel zum Zweck eines extrem gesteigerten Selbstwertgefühls des Trainers durch permanent forciertes Erzielen von fadenscheinigen Wettkampf-erfolgen dienen, ist die Ausübung einer Kampfkunst zum reinen Kampfsport zweckdegradiert. Die reine Kampfkunst lebt vom Leben lang praktizieren des Do und nicht vom vorübergehenden Wettkampferfolg.

Dort wo also die publicitysüchtige Selbstdarstellung nur noch im Vordergrund steht und durch krankhafte, sich in den Vordergrund stellende Eitelkeit, gepaart mit primitiver Effekthascherei und Selbstdarstellung des Trainers in Erscheinung tritt, ist die gesunde Bodenhaftung unter dessen Füßen verloren gegangen. Das Ergebnis ist, wie auch die Erfahrung zeigt, ein zwangsläufig Verloren gehen des eigenen Ichs des Trainers. Was natürlich auch irgendwann dessen Schüler dann zu deren Leidwesen erkennen müssen.

Ein in der Insiderszene allgemein anerkanntes Entscheidungskriterium zwischen ausgeübter Kampfkunst und praktiziertem Kampfsport ist:
Dort wo das reine Wettkampftraining im Vordergrund steht, spricht man von Ausübung des Sports, der auch nur eine gewisse Zeit so lang ausgeübt wird, so lange die scheinbaren Wettkampferfolge erzielt werden. Danach entsteht ein schwer aufzufüllendes Vakuum.
Dort wo das Training ausschließlich auf die Belange aller Beteiligten und die gesamte Bandbreite der Techniken des jeweiligen Stils mit entsprechender Untermauerung durch Philosophie, Geschichte und Aspekte des Do zur Ausbildung der jeweiligen Persönlichkeit ausgeübt wird, spricht man von Kampfkunst, die ein Leben lang praktiziert wird bzw. sollte.

Klaus Trogemann, Bundesbeauftragter für Tang Soo Do

Markiert in: